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Das Geistchen der Weihnacht

von Sabine Ludwigs


Es waren nur noch wenige, hektische Tage bis zum Weihnachtsfest.

Im Wald hatte der Förster gut gefüllte Krippen aufgestellt. Die sonst munteren Bäche schlummerten unter silbernem Eis und die Äste der Tannen und Bäume lagen unter einem Tuch aus Schnee. Es fing wieder an zu schneien und dicke Flocken taumelten zur Erde.

Udo Vollmer hatte Feierabend, wanderte durch den knirschenden Schnee und genoss die Stille, als er plötzlich ein Zischen hörte. Unwillkürlich zog er den Kopf ein, als etwas mit wahnsinniger Geschwindigkeit durch die Luft sauste, ihn knapp verfehlte und in einer Schneewehe direkt vor ihm einschlug, fast wie ein Meteorit.

Pulverschnee wurde aufgewirbelt und hüllte Udo ein. Ein paar Vögel flatterten erschrocken aus dem Dickicht und flogen schimpfend davon.

Verwirrt schaute Udo sich um. Im ersten Moment glaubte er, dass jemand einen Schneeball nach ihm geworfen hatte, aber nein, dafür war dieses Etwas viel zu schnell gewesen und zu hart gelandet.

Vorsichtig ging er näher und sah ein Männlein aus einem Einschlagkrater kriechen. Es rappelte sich auf, hustete und klopfte sorgfältig den Schnee von seinem blauen Mantel. Danach strahlte es Udo an. „Hallo!“

Udo sagte nichts. Er starrte das kleine Wesen mit den spitzen Ohren, dem Nektarinengesicht und den himmelblauen Haaren einfach nur an.

„Heute ist dein Glückstag“, plapperte es munter los. Dann warf es sich in die magere Brust. „Denn ich bin ein Wünschwas.“

Udos Augen verengten sich zu argwöhnischen Schlitzen. „Was ist das hier? Ein Spaß mit versteckter Kamera?“

„Kamera? Wieso Kamera?“, fragte der Wicht. „Verstehe ich nicht. Ich bin bloß ein Wünschwas und das bedeutet, dass du einen Wunsch frei hast. Einfach so, weil du mir begegnet bist.“
„Wie im Märchen?“

Das Wünschwas nickte.

„Weshalb?“, wollte Udo misstrauisch wissen.

„Weil das die Regeln sind, an die unsereiner sich zu halten hat: Wenn ein Mensch einem Wünschwas begegnet, hat er einen Wunsch frei.“
„Ganz egal, was ich mir wünsche?“

„Ja, völlig gleichgültig!“ Das Wünschwas hörte sich ein wenig großspurig an.

Jetzt lachte Udo dröhnend. Er wusste genau, wie sein Wunsch lautete. Schon immer hatte er sich gewundert, warum in Sagen und Geschichten nie jemand darauf gekommen war: Er würde sich wünschen, unendlich viele Wünsche frei zu haben!

„Gut, wenn das so ist, dann …“ hub er an.

„Entschuldige bitte!“, blökte das Wünschwas dazwischen. „Natürlich musst du die allgemein geltenden Wunderregeln für Fabelwesen und Sagengestalten, Zauberer, Feen, Hexen, Kobolde, Elfen, Engel und Wünschwasse beachten. Und die besagen, dass du dir nicht unendlich viele Wünsche wünschen kannst. Artikel 1, Absatz 2.Tust du es doch, so vermag ich diesen Wunsch nicht zu erfüllen, denn das übersteigt meine Fähigkeiten. Leider.“ Es räusperte sich verlegen und wich Udos Blick aus. Sodann fegte es den Schnee von einem Baumstumpf und setzte sich.

„Aber sonst geht alles?“, wollte Udo wissen.

„Natürlich. Das sagte ich doch schon … außer die Sache mit den Gefühlen“, gab das Wünschwas kleinlaut zu. „Ich kann nicht die Gefühle der Menschen verändern. Ich kann schlechte Menschen nicht gut machen oder eine Frau dazu bringen, dass sie dich liebt.“

„Und was kannst du sonst nicht?“

„Ich kann nichts Böses tun oder jemandem Schaden zufügen“, flüsterte das Wünschwas. „Eingriffe in die Zeit sind tabu. Ich kann dir weder ewiges Leben noch unvergängliche Jugend schenken, keine Toten erwecken oder Wunderheilungen vornehmen. Dir die Macht zu geben, andere Menschen zu beherrschen oder ihre Gedanken zu lesen, ist ebenfalls unmöglich. Unsichtbarmachung und die Verleihung von Flugfähigkeiten sind verboten. Ebenso kann ich dir keine Unverwundbarkeit schenken und keine magischen Kräfte …“ Nun war das Wünschwas kaum noch zu verstehen, so leise haspelte es die Sätze herunter.

Udo schwieg.

Das Männlein errötete. „Aber immerhin“, meinte es. „Immerhin bleibt dir ein Wunsch!“

Udo seufzte. „Also gut“, lenkte er ein. „Ein starkeingeschränkter Wunsch. Der will sorgfältig durchdacht sein. Wie wäre es mit Geld? Viel Geld?“

Das Wesen lachte schallend. „Das ist überhaupt kein Problem - allerdings auch nicht sehr originell, oder? Wundert es dich, wenn ich dir sage, dass sich jeder Reichtum wünscht? Wirklich jeder! Man wird heutzutage magisch kaum noch gefordert. Dabei gibt es doch Dinge, die viel wichtiger im Leben sind. Aber gut - es soll so sein. Also mach schon und wünsche es dir, damit ich es hinter mir habe.“

Das Männchen stellte sich auf den Baumstumpf, zog einen goldenen Stab aus der Manteltasche und hob die Ärmchen in die Luft wie ein Zauberer.

„Was ist verkehrt an Geld?“, fragte Udo und fühlte sich irgendwie schuftig.

„Nichts“, erwiderte das Wünschwas verächtlich und ließ die Arme sinken. „Gar nichts. Aber Geld allein macht nicht glücklich. Schließlich kann man sich die wirklich wichtigen Dinge nicht kaufen!“

„Nun, wünschen kann man sie sich offensichtlich auch nicht“; entgegnete Udo sarkastisch.

Darauf sagte das Männlein nichts, sondern pfiff nur verlegen „O du fröhliche, o du selige“ vor sich hin, während Udo weiter darüber nachgrübelte, was er sich denn Gescheites wünschen könnte.

Einen Ferrari? Eine Villa? Oder künstlerische Fähigkeiten? Ja, genau! Er wollte schon immer gerne Geschichten schreiben, Autor werden. Das war`s!

„Ich möchte gerne ein berühmter Schriftsteller sein. Meinst du, das könnte ich mir wünschen?“
„Selbstverständlich, da sehe ich keinerlei Schwierigkeiten!“, krähte das Männchen vergnügt. „Das ist sogar ein ausgezeichneter Einfall! Du wirst weltbekannt, wahrscheinlich sogar reich!“ Es zwinkerte ihm zu und gluckste: „Und niemand wird wissen, dass dein Erfolg absolut nichts mit Talent zu tun hat. Außer dir natürlich! Soll ich jetzt …?“

„Nein! Nein … Warte.“

 Udo begann sich zu fragen, ob es tatsächlich solch ein Glück war, dass er das Wünschwas getroffen hatte. Allmählich war sein sehnlichster Wunsch, dass es sich in Luft auflöste. Aber er hatte so eine Ahnung, dass er das Männchen nicht wegschicken konnte, ohne diesen vermaledeiten Wunsch getan zu haben. Wahrscheinlich war das in irgendeiner sonderbaren Regel genauestens festgelegt, unter Artikel soundso, Absatz irgendwas. Also musste ihm etwas halbwegs Vernünftiges einfallen, mit dem das Männlein zufrieden war. Und er. Wenigstens ein bisschen! Dann wäre dies alles vorbei! Diese Aussicht heiterte Udo nicht unerheblich auf.

Inzwischen schneite es heftiger und ihm wurde kalt. Er trat auf der Stelle, um wieder warm zu werden. Da kam ihm endlich eine Idee.

„Wie wäre es, wenn ich den Wunsch verschiebe? Ich könnte wieder herkommen und dich rufen, wenn mir etwas eingefallen ist.“
„Vergiss es!“ Das Männlein winkte ab. „ Artikel 5, Absatz 7 A und B besagen, dass Wünsche weder aufschiebbar noch übertragbar sind.“

Nun hatte Udo endgültig die Nase voll! Er wollte nur noch nach Hause, ein Kaminfeuer anzünden und sich die Füße wärmen. Er wollte Weihnachtskarten schreiben und Geschenke einpacken, über ein Festmahl nachdenken und in Ruhe und Frieden ein paar gemütliche Tage mit seiner Frau und den Kindern verbringen. Den Alltag vergessen, zur Christmette gehen und Freunde treffen - einfach den Zauber der Weihnacht in vollen Zügen genießen, um neue Kräfte zu schöpfen.

„Ich wünsche mir für meine Familie und Freunde besinnliche, glückliche und friedliche Weihnachtstage, die wir gemeinsam verleben“, sagte er endlich.

Und da gab es einen so furchtbaren Knall, dass ihm beinahe der Herzschlag aussetzte.

„So soll es sein!“, rief das Wünschwas und hüllte sich in eine Wolke aus Schnee und Nebel, in der es verschwand.

Dann war es wieder still.

„Wahrscheinlich sucht es sich ein neues Opfer“, murmelte Udo und empfand tiefes Mitleid mit dieser Person. Er machte sich auf den Heimweg und begann leise vor sich hinzusummen.

Doch Udo irrte sich, was das Wünschwas anging. Kaum war er gegangen, kam das kleine Wesen hinter einer mächtigen Tanne wieder zum Vorschein. Es zupfte seinen Mantel zurecht und streckte ein Paar strahlendweißer Flügelchen aus.

„Feierabend für heute!“, sagte es zufrieden.

Eine winzige Flaumfeder löste sich und schwebte zu Boden, als das Geistchen der Weihnacht seine Flügel spreizte und zum Himmel aufstieg.

Es wird doch jedes Jahr schwieriger, den Menschen etwas Vorfreude, Besinnlichkeit und Nächstenlieben einzubläuen, dachte das Geistchen der Weihnacht bei sich. Aber die Masche mit dem Wünschwas, die läuft ziemlich gut. Es lachte in sich hinein, als es von unten Udo hörte, der gerade lauthals die erste Strophe eines Weihnachtliedes sang:

„O du fröhliche, o du selige,

gnadenbringende Weihnachtszeit!

Welt ging verloren, Christ ist geboren:

Freue, freue dich, o Christenheit!“

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