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Nick möchte das Christkind sehen


Auf seinem Schlitten stand der fünfjährige Nick, halbverdeckt hinter einer dicken Kastanie und starrte in dichtem Schneegestöber unverwandt auf die Wohnzimmerfenster seiner Eltern in dem zweistöckigen Haus gegenüber. Dort musste jetzt bald auf seinem breitkufigen, goldenen Schlitten das Christkind vorbeifahren. Die Mutter hatte nämlich gerade die Wohnzimmertür zugeschlossen, was als sicheres Zeichen dafür galt, dass nun all das Wunderbare hinter der weißgelackten Tür begänne und das Christkind jetzt mit dem Knecht Ruprecht und dem feierlich geschmückten Weihnachtsbaum, den Geschenken von der endlosen Wunschliste des kleinen Nick und dem großen, festlichen Leuchten das Zimmer erfüllen würde.

In den vergangenen Jahren hatte Nick vergeblich versucht, etwas von diesem geheimnisvollen Geschehen durchs Schlüsselloch zu erspähen. Doch in diesem Jahr wollte er schlauer sein und nicht mit Herzklopfen vergeblich durch das Schlüsselloch starren. Diesmal wollte er von seinem Posten hinter der alten Kastanie das Christkind ankommen sehen und in seinem kleinen Gesichtchen zeichnete sich tatkräftig Entschlossenheit und erwartungsvolle Spannung ab. Doch soviel sich Nick auch reckte und streckte, die beiden Wohnzimmer blieben grau und dunkel und das Glöckchengeläut des himmlischen Schlittens war weit und breit nicht zu vernehmen. Stattdessen wurde das Schneegestöber dichter und dichter, die Häuser waren kaum noch zu sehen und Nick fiel es immer schwerer, die Wohnzimmerfenster scharf im Auge zu behalten. Die Kälte kroch an ihm hoch bis unter seine Pudelmütze und Erschöpftheit machte sich bereits bemerkbar. Das lange Sehen, das angestrengte Starren nagte an der heldenhaften Standhaftigkeit des neugierigen Kleinen. Wie lange nur mag das Christkind noch auf sich warten lassen? Würde es auch tatsächlich kommen? Hoffentlich vermissten ihn die Eltern nicht schon, sehen konnten sie ihn jedenfalls nicht hinter der mächtigen Kastanie. Doch da, war da nicht ein Geräusch? Irgend etwas klingelte, schepperte. Klang so etwa der goldene Himmelsschlitten des Christkinds?

Nick sprang aufgeregt von seinem Schlitten, spähte suchend durch das Schneegestöber: eine dunkle Silhouette näherte sich humpelnd, ein Fahrrad vor sich hinschiebend. Der pensionierte Schuster Hinnings, der auf Grund seines Holzbeines im ganzen Viertel nur "Auf und Ab" hieß, was aber nicht bösartig gemeint war. Man mochte ihn gerne, den Alten, der mit Vorliebe kornblumenblaue Socken trug und ein unendlich gütiges Gesicht mit einer großen, breiten Nase und schlauen Augen hatte. Die vergrößerten sich vor Erstaunen, als sie des kleinen Nick ansichtig wurden, der da schneebedeckt und frierend in seinen braunen Pelzstiefelchen plötzlich vor ihm stand. "Was döst du denn hier herum, mein Kleiner? Du bist ja schon halb zugeschneit. Lauf nur schnell nach Hause, sonst wirst du noch krank und verpasst vielleicht das Christkind!" Nick blickte den freundlichen Schuster nur enttäuscht und stumm an und hoffte aus tiefstem Herzen, dass dieser Mensch gleich weitergehen würde.

Hinnings tat ihm den Gefallen und ging seines Weges. Er wusste, dass der Junge in dem Backsteinbau gegenüber wohnte und er also nur ein paar Schritte bis nach Hause hatte. Schnell bestieg Nick wieder seinen Spähposten auf dem Schlitten. Um ihn herum wurde es immer dunkler, eine Dunkelheit, die durch den heftigen Schneefall noch vergrößert wurde. Die elterlichen Wohnzimmerfenster flossen allmählich in die Hauswand über und wurden ein Ganzes. Seine Mutter kam aus der Gartenpforte, rief nach ihm, kehrte dann ins Haus zurück und kam mit dem Vater wieder heraus. Jeder ging in eine andere Richtung, rufend und nach ihm suchend. Er wollte schreien. „Hier bin ich“, doch der Wunsch, das Geheimnis des Christkinds zu ergründen, ließ ihm das Wort in der Kehle stecken.

Von der großen Domuhr schlug es fünf. Bescherungszeit! Und das Christkind war immer noch nicht erschienen. Nicks Finger wurden kalt und kälter und auch die dicken Pelzstiefelchen konnten seine Füße nicht mehr wärmen. Auch sein ausdauernder, eiserner Wille wurde von Feuchtigkeit, Kälte und Müdigkeit durchsetzt. So verließ der Junge, der das Christkind sehen wollte, seinen Spähposten, schob mit beiden Fäusten die Schneeberge vom Schlitten herunter und setzte sich darauf, die Arme um die angezogenen Knie gestützt. Ab und zu sackte sein Kopf mit der Pudelmütze auf die Knie, die Augen klappten zu, mit letzter Kraft versuchte der kleine Nick sich immer wieder hochzureißen, schließlich aber schlief er ein und begann zu träumen.

Da hörte er plötzlich das Weihnachtsglockenspiel vom Dom. Klingeln, Geläut, ein Schimmel, ein weißer Schlitten hielt vor seinem Haus, ein liebliches Kind saß darin, Päckchen und Pakete lagen zu dessen Füßen. In Nicks träumenden Augen vergoldete sich alles zu einem überirdischen Leuchten, das Kind trug ein langes Kleid mit goldenen Sternen und langen blonden Haaren; die vielen Pakete glitzerten und schillerten, Knecht Ruprecht stieg von seinem Kutscherbock, ergriff ein paar der buntfunkelnden Pakete und verschwand im Nebenhaus, während das Kind selbst mit einigen Paketen durch die Gartenpforte in Nicks Elternhaus ging.

Nicks Herz weitete sich in einem überströmenden Glücksgefühl, er merkte nicht, wie ihn sein Vater ergriff und auf den Arm ins Haus trug, die Mutter ihn in die heiße Badewanne und dann ins Bett steckte. Nick sah und hörte nichts, er träumte mit offenen Augen vom goldenen Himmelsschlitten und murmelte glücklich: "Nun habe ich doch noch das Christkind gesehen."

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